DAV

11.08.2019 [Felskader]

Lena in Jordanien

Etwa im Dezember vergangenen Jahres bekam ich einen Anruf von Scarpa mit der Frage, ob ich Lust hätte im folgenden Jahr zum Klettern nach Jordanien zu fliegen. Trotz meiner direkten Zusage hatte ich zunächst gemischte Gefühle. Jordanien war ein Land von dem ich vorab nicht viel wusste und um ehrlich zu sein sogar ein wenig voreingenommen war. Ich war unsicher, wie ich mich dort als europäische Frau verhalten kann ohne negativ aufzufallen. Über die Kletterei habe ich mir vor der Reise tatsächlich am wenigsten Gedanken gemacht.
Unsere Reisegruppe bestand aus Chiara Hanke, Lara Neumeier, Alexandra, die bei Scarpa arbeitet, unserem Fotografen Frank Kretschmann und mir.
Das Klettergebiet, das wir besuchten ist im Wadi Rum, einer großen Wüste im Süden Jordaniens, die sich bis nach Saudi-Arabien zieht. Sie ist gespickt mit riesigen rötlichen Sandsteinwänden, dessen Potenzial unendlich wirkt. Nur ein kleiner Bruchteil der Wände ist erschlossen.
Unsere Reise entstand aus einer Kooperation von Scarpa und dem dem jordanischen Tourismusverband. Der Verband hat das Ziel, gemeinsam mit den Beduinen im Wadi Rum, einem traditionellen Nomadenvolk, den dortigen Tourismus zu stärken und das Land attraktiver zu machen. Das erhoffen sie sich unter anderem auch durch aufstrebenden Klettertourismus zu erreichen.



Mit wenig Wissen darüber, was uns nun in Jordanien erwarten wird, stiegen wir in das Flugzeug nach Aqaba, einem Provinzflughafen, an dem wir mitten in der Nacht ankamen und mit dem Taxi nach Rum Village gefahren wurden.
Dort hat uns ein Beduine, Abdallah, in traditionellem Gewand, mit Stirnlampe und strahlendem Lächeln empfangen. Wir alle waren heilfroh, endlich angekommen zu sein und ins Bett zu fallen. Falsch gedacht. Anstatt unser Gepäck auszuladen, wurde es auf die Ladefläche eines alten Pick-ups geworfen, auf dem wir anschließend auch platznahmen. Inmitten unseres Gepäcks ging es dann in höchster Geschwindigkeit raus in die dunkle Wüste zu unserem Zeltlager. Rechts und links konnte man zunächst nur Felswände erahnen, wir waren äußerst konzentriert, nicht von der Ladefläche zu fallen. Unser Basecamp lag mitten in der Wüste, fernab von jeglicher Zivilisation unter einem kleinen Felsen. Vor Ort gab es immerhin fließend Wasser und zwei Steckdosen. Da es stockfinster war, konnten wir gar nicht genau fassen, wo wir überhaupt sind. Deshalb war die Aufregung am nächsten Morgen umso größer, als wir aus unseren Zelten ins grelle Sonnenlicht traten und die unendliche Weite der Wüste sich vor uns erstreckte.

Am ersten Tag ging es darum, einen Plan für die Woche zu erstellen und zu entscheiden, mit welchen Routen wir uns in der knappen Woche beschäftigen wollen. Hier wurden wir von unserem Guide Yassir unterstützt, ein Beduine, der im Wadi Rum aufgewachsen ist und die Wüste wie seine Westentasche kennt.
Während wir wieder auf der Ladefläche des Pick-ups saßen und die Wüste inspizierten, sind uns sofort die beeindruckenden Rissstrukturen ins Auge gefallen. Somit war schnell klar, dass wir die wenigen eingebohrten Routen außer Acht lassen wollen, um ein paar Friends in den Rissen zu versenken.




Meine Erfahrung mit mobilen Sicherungsgeräten war bis dato gering, und dementsprechend verlief dann auch meine erste Tour in Jordanien. Auf den ersten zwanzig Metern wurden viele Friends gelegt, die man auf den restlichen acht Metern gut hätte gebrauchen können. Somit war der erste Runout schon mal überstanden.
Viele Touren die wir im Wadi Rum geklettert sind, waren vom physischen Anspruch kein Problem, aber schwer abzusichern. Diese Routen habe ich meist zusammen mit Lara geklettert, die schon viel Erfahrung im Tradklettern hat und somit viel Ruhe ausgestrahlt hat. Wir haben als Team toll harmoniert.



Unsere Gruppe empfand die Kletterei als unberechenbar. Man konnte dem Sandstein nicht an allen Stellen ansehen, wie kompakt er ist, da die meisten Linien bislang selten beklettert wurden. Somit ist es auch einmal passiert, dass während eines Sturzes ein Friend samt Felsstruktur rausgeplatzt ist. Mir persönlich hat dieser Abenteueraspekt gefallen, weil ich anders gefordert war als ich es bisher aus anderen Klettergebieten gewohnt bin. Jede Route war ein Abenteuer, was unsere ganze Gruppe sehr genossen hat.

 

Was für mich die Reise neben dem Klettern und unserem Team zu etwas wirklich Besonderem gemacht hat, war die Möglichkeit die Beduinenkultur aus erster Hand kennenzulernen.
Oft haben wir in den Mittagspausen mit unserem Guide Yassir bei gutem Essen im Sand gesessen. Zu Beginn waren wir noch unsicher, ausversehen unangebrachte Fragen zu stellen. Aber im laufe der Woche ist ein reger Austausch zwischen den Beduinen und unserer Gruppe entstanden. Yassir hat uns viele Geschichten über seine Familie, das Leben in der Wüste und den Quatsch, den er mit seinen Freunden veranstaltet, erzählt. Bei einigen Tassen „Bedouin Whisky“ - einem sehr süßen schwarzen Tee - hat er uns dann gezeigt wie man Babyfüße und allerlei Tierspuren in den Sand malt. Das waren für mich wirklich schöne Momente. Je mehr sich die Unsicherheit verabschiedete, desto neugieriger wurden wir. Bis spät in die Nacht haben wir manchmal mit den Beduinen am Feuer gesessen, über ihr Leben, ihre Kultur und ihre Träume gesprochen, zusammen gelacht und natürlich tassenweise Tee getrunken.
In dieser kurzen Woche habe ich einen kleinen Teil von Jordanien und seiner Kultur kennengelernt und bin sehr dankbar für diese Erfahrung. Das Land ist definitiv eine Reise wert.








Fotos: Frank Kretschmann, SCARPA